Was will Miasma?

Miasma, alt.griech. für Besudelung, ist ein Konzept aus der mittelalterlichen Wundermedizin. Konfrontiert mit Seuchen und unerklärbaren Krankheitsausbrüchen, glaubten die Doktoren, in Anlehnung an antike Quellen, die Ursache wäre in  schlechten Ausdünstungen zu suchen, in einem besudelten, verfluchten Dunst, der durch die Quartiere zieht. Jeder, der den Gestank einatmet, würde demnach krank, weswegen Isolation und die berühmten Schnabelmasken gegen Seuchen, wie etwa die Beulenpest, eingesetzt wurden. Dieser Gestank, die verunreinigte Luft, nannte man Miasma. 
In der Gegenwart weiß man mehr über Krankheiten: Infektionen sind auf Keime zurückgeführt worden, Viren oder Bakterien wissenschaftlich untersucht. Für das Konzept des Miasma ist in der wissenschaftlichen Medizin der Gegenwart kein Platz mehr - und das ist auch gut so.
Jedoch: Die Tage von Corona zeigen uns, dass ein besudelter Dunst dennoch um die Häuser zieht, ein Miasma, das schon länger als es Corona gibt durch unser Gesundheitswesen weht, durch Politik und Gesellschaft. Überall sehen wir dieses Miasma am Werk: In den rücksichtslosen Hamsterkäufen. In der Unfähigkeit unserer Regierung. In den bösartigen Artikeln sozialdarwinistischer Autoren, die das Sterben der Alten und Schwachen als Reinigungsprozess bejubeln. In der Überlastung der Krankenhäuser, die weder über genug Personal noch über genug Ausstattung und Gerätschaften verfügen, um die Seuche zu bekämpfen. In der Tatsache, dass Arbeiter zur Arbeit gezwungen werden, in Zeiten, in denen dies den Tod bedeuten kann, und so fort.
Es ist der Gestank der sterbenden kapitalistischen Gesellschaft, der schon lange alles beschlagen hat und nun wahrnehmbar wird.Neoliberaler Sparwahn hat die Gesundheitssysteme ruiniert und die Schwachen und Alten damit dem Tod preisgegeben. Der Glaube an die Alternativlosigkeit des Kapitalismus hat eine opportunistische Politiker- und rückgratlos-autoritäre Beamtenkaste entstehen lassen. Und die Logik des kapitalistischen Systems ist der Grund, dass auch jetzt noch, inmitten der Katastrophe, nicht wir, das Volk, zählen, sondern der Profit von Konzernen.
Entsolidarisierung, Staatsversagen, Sozialdarwinismus  und Profitwahn sind das Miasma unserer Tage, der Gestank eines unfähigen Systems, das in seinen Todeszuckungen unser aller Leben gefährdet.
Anders als die mittelalterliche Wundermedizin es glaubte, hilft nicht Isolation gegen dieses Miasma, sondern Organisierung. Auch wenn nun langsam auch in diesem Land Quarantänemaßnahmen getroffen werden, sollten wir uns nicht länger dem Miasma der Vereinzelung aussetzen. Es gilt, ein gemeinsames, kollektives Bewusstsein, ein Klassenbewusstsein, zu schaffen.
Dazu will dieser Blog beitragen. 
Hier sollen Eindrücke aller Art gesammelt werden. Politische Gedanken, persönliche Erlebnisse aus der Quarantäne und gegen das Miasma des Kapitalismus.
Alle, die sich zusammenschließen wollen, die an Solidarität und die Gleichheit aller glauben, sind eingeladen, sich zu beteiligen und ihre Texte einzusenden:

seuchentagebuch@web.de

 

Gegen Kapitalismus und Corona!

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